Ist Vorsicht besser als Nachsicht? Über Krebsvorsorge und Früherkennung

Geschirrspüler ausräumen, Steuer abgeben, Geburtstagsgeschenk besorgen, Loch in linker Socke stopfen… Viele unserer To-Do-Listen sind unendlich lang und da erscheint uns jede zusätzliche Aufgabe, wie der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Da noch einen Arzttermin ausmachen und das, obwohl man sich nicht einmal krank fühlt, sondern einfach zur Vorsorge, klingt wie etwas, das man getrost aufschieben kann. Aber obwohl die Krebsvorsorge manchmal einfach nur nervig ist, kann sie einem eben auch buchstäblich das Leben retten. Und das ist nun mal die Voraussetzung für alles andere, auch wenn wir es dann mit löchriger Socke oder Stapeln von schmutzigem Geschirr bestreiten müssen.

Was ist Krebsvorsorge?

Bei der Krebsvorsorge handelt es sich um Untersuchungen verschiedener Organe, die Krebs entweder in:

  • einer Vorstufe erkennen sollen (Vorsorge)
  • einem (sehr) frühen Stadium (Früherkennung)

Die Früherkennung von Krebs wird meist ebenfalls als „Krebsvorsorge“ bezeichnet, obwohl sie es genau genommen nicht ist, weil der Krebs in diesen Fällen schon da ist.

Vorsorge macht man, wenn man noch keine Symptome oder Veränderungen bemerkt hat, also eigentlich „gesund“ ist.

Die Krebsvorsorge ist in vielen Ländern gesetzlich geregelt, so auch in Deutschland. Das heißt viele Vorsorgeuntersuchungen werden von den Krankenkassen übernommen. Meist gelten dabei gewisse Empfehlungen oder Einschränkungen, wie das Alter oder ein zeitlicher Abstand zwischen den Untersuchungen.

Icon Forschung

Gut zu wissen: die Empfehlungen beruhen auf den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien und können sich daher ändern, wenn es neue Erkenntnisse gibt.

Welche Vorsorgeuntersuchungen gibt es?

Vorsorgeuntersuchungen, die gesetzlich geregelt sind, gibt es für folgende Krebsarten:

Darm:

  • Test auf okkultes (nicht sichtbares) Blut im Stuhl: ab 50 Jahren, einmal jährlich
  • Darmspiegelung: ab 55 Jahren für Frauen und 50 Jahren für Männer, Wiederholung nach 10 Jahren

Haut:

Hautkrebsscreening des gesamten Körpers: ab 35 Jahren, alle 2 Jahre

Brust:

  • Abtastung der Brüste und Achselhöhlen (hier sitzen Lymphknoten): ab 30 Jahren, einmal jährlich + Anleitung zur Brustselbstuntersuchung (hierfür gibt es zur Erinnerung auch viele gute Videos)
  • Mammographie Screening: von 50-75 Jahre, alle 2 Jahre eine Röntgenaufnahme der Brust

Gebärmutterhals (Cervix):

  • Untersuchung der äußeren und inneren Geschlechtsorgane: ab 20 Jahren, einmal jährlich
  • Abstrich Gebärmutterhals und HPV-Test (Humane Papillomviren): 20-34 Jahre einmal jährlich, Frauen ab 35 Jahre, alle 3 Jahre

Prostata:

Abtastung der Prostata: ab 45 Jahren, einmal jährlich

Viele dieser Vorsorgeuntersuchungen sind unangenehm. Die wenigsten lassen sich wohl gerne auf einem unbequemen Stuhl kalte Geräte in den Unterleib einführen oder schmerzhaft die Brüste zwischen zwei Platten klemmen. Die Prostata stelle ich mir ähnlich unbequem vor und die Vorbereitung auf die Darmspiegelung ist auch nichts, worauf man hinfiebert, es sei denn, man wollte ohnehin mal wieder mehr Zeit auf der Toilette verbringen. Und das ist nicht zu unterschätzen, weil das tatsächliche Hürden sind, die einer routinemäßigen Vorsorge im Wege stehen, wie Studien herausfanden. Deshalb sollte das nicht á la „jetzt hab dich mal nicht so“ bagatellisiert, sondern ernstgenommen werden.

In Kombination mit der Angst vor dem Ergebnis der Untersuchung, sind das für viele von uns gute Gründe es eben nicht zu tun und lieber darauf zu verzichten frierend und versehentlich in seiner hässlichsten Unterhose alle Leberflecke begutachten zu lassen und jedes Mal in Panik zu verfallen, wenn der/die Ärzt*in bei einem Fleck etwas länger innehält. Deshalb hilft es sicher, wenn Patient*innen ausführlich aufgeklärt und auf die Untersuchung vorbereitet werden und die Scham und Angst vor der Untersuchung von einfühlsamen Ärzt*innen abgefedert werden.

Stapel aus goldenen Münzen

Gut zu wissen: Es gibt auch noch andere Vorsorgeuntersuchungen, die allerdings individuelle Gesundheitsleistungen (IGel) sind. Das heißt Patient*innen zahlen sie aus eigener Tasche. Für diese Vorsorgeuntersuchungen ist entweder der allgemeine Nutzen noch nicht ausreichend belegt oder es liegen noch nicht ausreichend Daten für eine Einschätzung vor (z.B. weil die Untersuchungsmethode noch ganz neu ist).

Ab wann zur Vorsorge?

Für die unterschiedlichen Vorsorgeuntersuchungen gibt es auch verschiedene Altersgrenzen. Generell gilt: mit zunehmendem Alter steigt die Anzahl und Dichte der Vorsorgeuntersuchungen. Das hängt damit zusammen, dass mit steigendem Alter leider eben auch die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten bestimmter Erkrankungen steigt.

Wie oft zur Krebsvorsorge?

Wie oft man zur Vorsorge oder Früherkennung kann, ist von den Krankenkassen geregelt. Diese Regelungen gelten grundsätzlich für alle gesetzlich Versicherten.

Allerdings gibt es spezielle Regelungen bei erblichen Krebsarten, also wenn eine Krebsart häufig in einer Familie auftritt. Dann ist es wahrscheinlich, dass es eine genetische Veranlagung für die Krebserkrankung gibt. Solche genetischen Veränderungen wurden zum Beispiel gefunden für:

  • Erblichen Brust- und Eierstockkrebs: zum Beispiel gibt es Mutationen (Veränderungen) im BRCA1 und BRCA2-Gen. Diese Mutationen erhöhen das Risiko für Brust-, Eierstock- und Eileiterkrebs.
  • Erblicher Darmkrebs: auch bei Darmkrebs gibt es vererbliche Veränderungen (bei ca. 5 von 100 Darmkrebspatient*innen), die nicht nur das Risiko für Darmkrebs erhöhen, sondern auch für Magenkrebs, Leberkrebs, Gebärmutterkörperkrebs oder Eierstockkrebs.
  • Li-Fraumeni-Syndrom: dabei ist das Tumorsuppressorgen p53 mutiert, dazu kommt es zu einem erhöhten Risiko bereits früh und sogar mehrfach an Krebs zu erkranken. Häufig sind Weichteilsarkome (das sind Tumore aus Muskel-, Binde- oder Fettgewebe), Leukämien (Blutkrebs), und Tumore des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) bei Kindern und Jugendlichen und Brustkrebs, Knochentumoren und Lungenkrebs bei Erwachsenen.

In solchen Fällen gibt es eine „intensivierte Vorsorge“. Es werden also bereits früher und mehr Vorsorgeuntersuchungen angeboten. Wie das im Einzelfall aussieht, muss anhand des Risikos geprüft werden (z.B. bei Brustkrebs).

Welche Nachteile gibt es bei Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen?

Falsche Ergebnisse: Keine Untersuchungsmethode zur Krebsvorsorge oder Früherkennung ist zu 100% verlässlich. So gibt es:

  • falsch positive Ergebnisse: die Untersuchung ergibt, dass da etwas ist, dabei ist da gar nichts
  • falsch negative Ergebnisse: die Untersuchung ergibt, dass da nichts ist, dabei ist da etwas

Das klingt nun fast so, als wäre man mit Vorsorgeuntersuchungen genauso gut dran, wie ohne, was natürlich nicht der Fall ist. Falsch positive Ergebnisse lassen sich durch weitere Untersuchungen widerlegen. Leider muss man dann aber zunächst mit der Angst leben, dass sich der Verdacht bestätigt.

Angst: Die Angst vor dem Krebs oder einer anderen schweren Krankheit begleitet einen immer, aber bei einer Vorsorgeuntersuchung rückt sie eben stärker ins Bewusstsein. Die Angst vor, bei und – wenn man auf Ergebnisse warten muss – nach der Untersuchung kann bestenfalls als unangenehm bezeichnet werden und ist für viele ein Grund nicht zur Vorsorge zu gehen oder sie aufzuschieben.

Wenige Krebsarten: Vorsorge- oder Früherkennungsuntersuchungen gibt es bisher nur für bestimmte Krebsarten und für andere nicht.

Ist die Krebsvorsorge immer sinnvoll?

Wie immer ist nichts so einfach, wie es scheint und in der Wissenschaft gleich dreimal nicht. Probleme betreffen vor allem die Früherkennung.

Die Prämisse bei den Früherkennungsuntersuchungen ist ja: wenn wir den Krebs früher finden, können wir früher etwas dagegen tun und verbessern damit die Überlebenschancen der Patient*innen. Das ist leider eben nicht immer der Fall, zum Beispiel wenn zwar mehr Tumore gefunden werden, aber die Anzahl der Todesfälle durch die Erkrankung gleichbleibt. Dann hat man mehrere mögliche Probleme:

  • Es kommt zu Überdiagnosen, das heißt, es wird ein bösartiger Tumor gefunden, der aber der betroffenen Person nie gefährlich geworden wäre, weil er zum Beispiel sehr langsam wächst und keine Symptome verursacht. Überdiagnosen führen zu unnötigen Behandlungen, genannt Übertherapie. In diesen Fällen führt die Krebserkrankung nicht zur Lebensverkürzung, müsste also nicht behandelt werden.
  • Zwar wird die Krankheit früher entdeckt, aber immer noch zu spät, damit Patient*innen bessere Chance auf eine Heilung haben
  • Man lebt länger mit Diagnose, aber nicht länger insgesamt

Dies alles sind Gründe dafür, dass die Entscheidung für oder gegen eine Vorsorge- oder Früherkennungsuntersuchung eben doch meist nicht so einfach ist. Das Problem hat in diesem Fall mit der Statistik zu tun (wie immer, Augenrollen) beziehungsweise mit dem Problem: was ist gut für die Allgemeinheit vs was ist gut für mich?

Überdiagnosen erklärt anhand der Mammographie

Bei der Mammographie erkennen wir :

  • bei 2-6 von 1000 Frauen* Brustkrebs früher, können ihn dadurch behandeln und sie versterben deshalb nicht an Brustkrebs.
  • Bei 9-12 von diesen 1000 Frauen* führt die Mammographie zu einer Überdiagnose und sie bekommen eine belastende Behandlung, obwohl sie diese nicht gebraucht hätten.

Statistisch gesehen, sind Mammographien ein Erfolg, denn wir retten ja 2-6 Leben. Auf der individuellen Ebene sieht es aber anders aus, wenn ich eine der Frauen* bin, die eine Überdiagnose bekommen hat.

Das Problem: ich weiß nicht, ob ich eine der Überlebenden 2-6 sein werde oder eine der 9-12 Überdiagnostizierten und das macht die ganze Situation so vertrackt.

Letztendlich ist es deswegen immer eine individuelle Entscheidung und man muss das Für und Wider abwägen. Was nimmt man in Kauf: eher eine Überdiagnose oder ein zu spät entdeckter Krebs? Wie geht man mit den Risiken mit und ohne Vorsorge um? Es macht uns auch noch einmal klar, dass wir Fortschritte machen, es aber noch ein langer Weg ist, bis wir Krebs wirklich verstanden haben. Deshalb ist die Forschung in diesem Bereich auch immer noch so wichtig. So finden wir vielleicht noch heraus, welche Krebsarten langsam wachsen und woran das liegt.

Was wir uns in jedem Fall auf unsere To-Do-Liste setzen sollten: sich über Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen Gedanken zu machen und eine Entscheidung zu treffen. Die kann unterschiedlich für die verschiedenen Untersuchungen sein, aber auch abhängig vom Alter oder der Lebensphase, in der man ist. Dabei macht ein allgemeines Misstrauen gegenüber den Untersuchungen sicherlich ebenso wenig Sinn, wie eine völlig unkritische Annahme dieser Angebote.

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Zuletzt geändert am: 27.01.2025
Autor: Redaktion StärkergegenKrebs

Dr.sc.med. Violet Handtke

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Gesundheitsinformation.de (2010) Was ist eine Überdiagnose?. https://www.gesundheitsinformation.de/was-ist-eine-ueberdiagnose.html#:~:text=Eine%20%C3%9Cberdiagnose%20ist%20die%20Diagnose,%C3%BCberfl%C3%BCssige%20Behandlungen%20nach%20sich%20ziehen; Letzter Abruf: 21.01.2025

Jones, R. M., Devers, K. J., Kuzel, A. J., & Woolf, S. H. (2010) Patient-reported barriers to colorectal cancer screening: a mixed-methods analysis. In: American journal of preventive medicine. 38(5), S.508-516.

Krebsinformationsdienst Krebsfrüherkennung: Wissenswertes zu Angeboten, Nutzen und Nachteilen. https://www.krebsinformationsdienst.de/fileadmin/pdf-dateien/informationsblaetter/iblatt-frueherkennung.pdf?m=1581070869&; Letzter Abruf: 21.01.2025

Onko, I. Krebsfrüherkennung: Erfolge, Chancen und Risiken. https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/vorsorge-und-frueherkennung/krebsfrueherkennung.html; Letzter Abruf: 21.01.2025

Sharp, P. C., Michielutte, R., Freimanis, R., Cunningham, L., Spangler, J., & Burnette, V. (2003) Reported pain following mammography screening. In: Archives of Internal Medicine. 163(7), S.833-836.

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