Das Buusenkollektiv: Mit Lebensfreude dem Brustkrebs trotzen

Krebs kommt selten allein, sondern hat auch noch einige unangenehme Begleiter*innen im Gepäck. Als ob es das auch noch bräuchte, werden sie direkt mit der Diagnose mitgeliefert und betreffen meist die Psyche: Man fühlt sich auf einmal isoliert von seinem Umfeld, zuweilen einsam und hat vielleicht auch noch mit Ängsten und Depression zu kämpfen.

Wer Glück hat, wird von einem großen Netzwerk aus Familie und Freund*innen unterstützt. Doch allzu schnell merkt man, dass auch das möglicherweise nicht reicht, weil einfach keine*r genau dasselbe durchmacht, wie man selbst. Dazu gehören Erfahrungen und Gefühle, die schwer in Worte zu fassen sind, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Hier braucht es also Menschen in derselben Situation und die sind glücklicherweise meist in Selbsthilfegruppen anzutreffen.

Davon gibt es in Deutschland allerdings an die 100.000, daher kann die Wahl schwerfallen. Natürlich ist die Anzahl leicht über die Erkrankung einzugrenzen, aber was dann? Man möchte sich ja mit Gleichgesinnten austauschen und sich nicht so fühlen, als wäre man aus Versehen in einem Kick-Boxing-Kurs gelandet, obwohl man eigentlich Yoga machen wollte. Ist mir eventuell mal passiert und ich habe mich mitten in der Stunde rausgeschlichen. Das sollte bei einer Selbsthilfegruppe eben nicht passieren.

Auch für Brustkrebs ist die Auswahl groß, daher muss man auch hier als Topf seinen passenden Deckel finden. Wer nicht auf Understatement steht und es lieber „laut, frech, wild und farbenfroh“ mag, sucht sich am besten eine neue Buusenfreundin. Die gibt es beim Buusenkolletiv in Hülle und Fülle. Seit 2020 zerren Gründerin Rhea Seehaus und ihr Team den Brustkrebs aus der Tabuzone in die öffentliche Wahrnehmung. Das tun sie, indem sie das Leben mit einer wachsenden Community von Buusenfreund*innen feiern.

Wir haben Buusenfreundin Charlie Lisador kennengelernt und mit ihr über das Buusenkollektiv und die Tittie-Talks, ihr Online-Selbsthilfe-Treffen, gequatscht.

Icon Megafon laut

Unser Motto ist „laut, frech, wild“.

Charlie, was ist das Buusenkollektiv und was macht ihr so?

Das Buusenkollektiv ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für an Brustkrebs erkrankte Frauen einsetzt, und zwar vielleicht ein bisschen anders als andere Vereine und Initiativen das machen.

Wie meinst du das?

Unser Motto ist „laut, frech, wild“. Wir wollen dem Thema Brustkrebs ein Gesicht geben. Wir wollen zeigen: Der Krebs, das sind nicht die anderen, der Krebs, das sind wir! Es kann jede*n treffen, in jedem Alter, eben auch jüngere Menschen und da wollen wir durch kreative und laute Aktionen darauf aufmerksam machen.

Was für Aktionen sind das zum Beispiel?

Wir bieten verschiedene Projekte an, die Brustkrebspatient*innen auf ihrem Weg durch die Akuttherapie und ihre Erkrankung ganz allgemein unterstützen sollen. Eines unserer Angebote der ersten Stunde sind die “Tittie Talks”, unser Online-Selbsthilfetreffen, ein digitales Austauschformat von Betroffenen für Betroffene. Eine weitere tolle Aktion ist zum Beispiel unser Empowermentprojekt “Let Your Scars Shine”, ein Fotoshooting, bei der die Narben von operierten Frauen in der Tradition des Kintsugi mit Goldglitzer verziert und die Frauen dann fotografiert werden. Bunt wird’s bei den „Tittie-Tints“, einem kunsttherapeutischen Projekt, bei dem bunte Oberkörperabdrucke entstehen. Die aus beiden Projekten hervorgehenden Kunstwerke stellen wir dann mit verschiedenen anderen Exponaten, die sich mit dem Thema Brustkrebs beschäftigen, in unserer autobiografischen Ausstellung „einevon ACHT“ aus. Zu sehen sind da außerdem noch Gipsbüsten von Brüsten oder eben nicht mehr vorhandenen Brüsten, die zeigen, wo der Tumor mal “gesessen hat”. Auch unser Abtastvideo ist Teil der Ausstellung. Das alles und viel mehr soll ein größeres Bewusstsein für das Thema Brustkrebs schaffen. Es soll darauf aufmerksam machen, dass eine regelmäßige Früherkennung wichtig ist und dass, wenn Brustkrebs rechtzeitig erkannt wird, eine Heilung in vielen Fällen möglich ist.

Was ist eure Mission?

Unser Job ist es zu ermutigen, laut zu sein, dem Thema Brustkrebs und seinen Patient*innen eine Plattform zu geben und ein gutes Gefühl zu hinterlassen. Wir wollen alle Buusenfreund*innen vernetzen, damit sie sich in einer sicheren Umgebung austauschen können. Neben unseren oben genannten Mutmach-Formaten vertreiben wir in unserem Online-Shop zum Beispiel auch verschiedene T-Shirts, Stoffbeutel, Buttons oder Etappenkarten für die Akuttherapie, die bei Patient*innen ein Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugen und zeigen sollen: Ihr seid nicht allein.

Icon Wichtig

Es wird zum Beispiel so gut wie nie gezeigt, dass es Körper gibt, die ohne Brust zurückbleiben oder die mit vielen Narben gekennzeichnet sind.

Was macht euch als Brustkrebs-Selbsthilfegruppe besonders?

Wir hatten das Gefühl, dass es bei Selbsthilfegruppen sehr ernst zugeht, dass dem Negativen, was natürlich dem Thema anhaftet, eine zu breite Plattform gegeben wird. Wir wollen Lebensfreude versprühen und zeigen: Man kann trotz dieser Diagnose ein ganz tolles, erfülltes Leben führen. Was uns auch auszeichnet ist, dass wir viele junge, erkrankte Frauen sind. Beim Thema Krebs denkt man ja oft, dass er erst im Alter auftritt. Wir wollen zeigen, dass Brustkrebs oder Krebs überhaupt auch junge Leute treffen kann. Aus dieser Überzeugung heraus wurde der gemeinnützige Verein “das Buusenkollektiv e.V. ” gegründet.

Wen versucht ihr mit eurer Community zu erreichen?

Ich glaube, mit unseren Angeboten sprechen wir vor allem Leute an, die sich vielleicht eher auf unkonventionelle Art mit der Krankheit auseinandersetzen wollen, mal einen anderen Zugang zum Thema finden möchten. Wir hoffen, dass wir damit ganz viele betroffene Frauen erreichen und ihnen damit Mut machen können. Eben auf eine etwas andere Art und Weise. So ergänzen wir andere Initiativen und Selbsthilfegruppen, die alle eine wichtige Arbeit leisten.

Ihr tretet für mehr Diversität ein. Was hat euch beim Umgang mit dem Thema Brustkrebs gefehlt?

Man sieht bei vielen Broschüren zum Thema Brustkrebs nur die Oberfläche. Oft werden außerdem nur ältere Menschen gezeigt und das entspricht einfach nicht der Realität. Wir wollen in die Tiefe gehen und zeigen, was für Konsequenzen das Thema „Brustkrebs“ mit sich bringt. Es wird zum Beispiel so gut wie nie gezeigt, dass es Körper gibt, die ohne Brust zurückbleiben oder die mit vielen Narben gekennzeichnet sind. Denn die Krankheit ist mit Einschnitten und Veränderungen an Körper und Psyche verbunden. Gleichzeitig wollen wir Mut machen, dass diese Konsequenzen nicht unbedingt das Leben schlechter machen, sondern dass man ganz wunderbar mit ihnen leben kann. Zum Beispiel, dass die Körper trotz dieser Einschnitte - im wahrsten Sinne des Wortes - Lebensfreude ausstrahlen. Viele Betroffene sind trotz dieser angeblichen Makel stolz auf ihre Körper und fühlen sich wohl in ihnen, auch wenn sie eben nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen.

Wie äußert sich das in euren Aktionen?

Wir haben Aktionen, wie die Titti-Tints, wo die Oberkörper von Frauen nach der Behandlung angemalt und dann auf Leinwand gedruckt werden. Bei unseren Foto-Aktionen, wie „Let your scars shine“, machen wir ganz stilvolle, hochwertige Fotos von Frauen, die jetzt zum Beispiel nicht nur den klassischen Wiederaufbau haben, sondern wo man eben auch mal sieht, dass da “nur noch” eine oder zwei Narben sind. Diese werden dann mit Goldglitzer hervorgehoben. Damit wollten wir zeigen: Jeder Körper ist schön, egal mit wie vielen Narben, egal, wie sie sonst aussehen, ob dick oder dünn, fit oder unfit. Damit zeigen wir aber auch: Es kann jede*n treffen.

Hast du das Gefühl, dass Brustkrebs manchmal ein Stigma anhaftet?

Ja, da geht es dann darum, aufzuklären. Kürzlich hatten wir zum Beispiel auf Instagram die Aktion “Bullshit-Bingo”. Wenn Sätze fallen, wie: „Also Krebs, das ist alles nur eine Sache der inneren Einstellung“ oder: „Ach, die Haare wachsen ja wieder“, wollen wir aufklären, wie wir uns als Betroffene damit fühlen. Wir möchten Aufmerksamkeit erzeugen, damit das Thema Brustkrebs mehr in die Gesellschaft gestreut wird. Dadurch erhoffen wir uns, dass mehr Verständnis für Betroffene geschaffen werden kann.

Icon Frau stemmt Gewichte

„Die Tittie-Talks sind das, was ihr daraus macht“

Zu den Tittie-Talks: Wie kam die Idee dazu?

Unsere beiden Gründerinnen, Rhea Seehaus und Lena Gerst, sind in Zeiten von Corona an Brustkrebs erkrankt. Durch die Kontaktbeschränkungen gab es kaum Möglichkeiten, sich persönlich in Selbsthilfegruppen auszutauschen. Beide waren auf Instagram aktiv, haben sich auf der Suche nach Gleichgesinnten dort kennengelernt und irgendwann gesagt: „Uns fehlt ein Angebot für Brustkrebspatient*innen und für die Kommunikation unter "Gleichgesinnten". Da kam die Idee, ein digitales Format zu entwickeln und dort andere Betroffene, die Austausch suchen und erkrankt sind, auch in Zeiten von Corona zusammenzubringen.

Jetzt ist es über Corona hinaus beim Online-Format geblieben, wo seht ihr die Vorteile?

Einige in unserer Community sind junge Mütter, wie ich zum Beispiel. Ich habe eben nicht die Möglichkeit oder die Zeit, ständig irgendwo herumzufahren, da ist ein Austausch von zuhause aus eher möglich. Steckt man mitten in der Akuttherapie, will man sich einfach auch vor Infektionen schützen und hat eventuell einfach nicht die Kraft, rauszugehen. Dafür ist das Online-Format wirklich praktisch. Außerdem, egal wie fertig und abgeranzt du aussiehst, du kannst dich abends zu den Tittie-Talks einwählen und sie einfach miterleben oder dich austauschen. Es ist nicht so anonym wie chatten, sondern du siehst die Leute trotzdem face-to-face, das hat dann doch nochmal eine andere Note. Ein persönlicher Austausch in einem geschützten Rahmen. Uns ist wichtig, dass wir unter uns sind und das gemütlich von zuhause, ohne in den Bus oder ins Auto steigen zu müssen. Quasi von der Couch aus mitten ins Leben.

Was ist das Ziel der Tittie-Talks?

Ziel der Tittie-Talks ist, dass Erkrankte erkennen, dass sie nicht allein sind. Wir sind auch Teil der Gesellschaft und man muss sich nicht verschließen vor der Welt. Wir sind - leider - viele. Es ist trotzdem ein schönes Gefühl zu wissen, dass es eine Gemeinschaft gibt und es überall Buusenfreund*innen gibt, die mitfühlen und genau verstehen, was in einem vorgeht. Wir sind eine Solidargemeinschaft, die sich gegenseitig stärkt und unterstützt.

Wie laufen die Tittie-Talks ab?

Also um 20 Uhr wird alles freigeschaltet. Wenn man sich vorher anmeldet, bekommt man die Einwahlinformationen, mit denen man sich zuschalten kann. Dann kommt man auf eine Plattform, die mich ein bisschen an “die Sims” erinnert. Man ist quasi in einer virtuellen Welt und kann bestimmte Themenräume auswählen. Die wechseln von Mal zu Mal. Dann hat man links oben zum Beispiel das Thema: „Leben mit metastasiertem Brustkrebs, was nun?“ Und in der Mitte vielleicht  das Thema: „OP-Möglichkeiten nach Brustkrebs?“ Und dann rechts wieder eine andere Rubrik, etwa so was wie: „Leben mit der Antihormontherapie“. Es gibt immer 4-5 wechselnde Themen und die feste Rubrik: „In der Küche feiern wir die besten Partys!“ wo man sich zu allem, was einem gerade in den Sinn kommt, austauschen kann.

Und dann geht es los?

Der Start wird immer von zwei Mitgliedern aus dem Buusenkollektiv moderiert. Die erzählen dann was zu den Themen und wie alles funktioniert. Los geht es mit einem oder zwei Kennenlernspielen. Dabei stellt man sich in kleineren Gruppen, meist zu dritt oder viert, gegenseitig Fragen, um sich ein bisschen besser kennenzulernen. Danach kann man sich frei in diesem virtuellen Raum bewegen, die Räume besuchen, die einen thematisch interessieren und sich dort austauschen. Man kann aber auch komplett still sein, also die Kamera- und Mikrofunktion ausschalten und sich einfach nur berieseln lassen. All das ist möglich. Alles kann, nichts muss, ganz getreu dem Motto: „Die Tittie-Talks sind das, was ihr daraus macht“.

Werden die einzelnen Gruppen moderiert?

Wir gucken, dass wir die Gruppenräume begleiten, ist aber nicht unbedingt ein Muss. Wir sind ja selbst auch Betroffene und dann kann es auch mal vorkommen, dass wir mal alle in einem Raum sind. Es gibt auch moderierte Runden, wenn wir Expert*innen ein laden. Grundsätzlich schauen wir als Mitglieder des Buusenkollektivs schon immer in alle Räume und moderieren, falls nötig auch, aber es ist alles sehr frei.

Gibt es Themen, die immer wieder kommen bei den Tittie-Talks?

Ja, das Thema „Operationen“ hatten wir jetzt schon mehrfach, genauso wie das Thema „Metastasierter Brustkrebs“, weil das leider viele betrifft und es immer wieder Fragen dazu gibt. Wir versuchen immer wieder andere Schwerpunkte zu setzen und neue Themen anzusprechen. Wiederholungen gibt es, weil wir auf die Bedürfnisse der Teilnehmer*innen reagieren, die über Mail oder Social Media bestimmte Themen nachfragen.

Kurz und Kompakt: die Tittie-Talks

Wo? Wo ihr wollt, denn die Tittie-Talks finden online statt

Wann? Aktuelle Termine findet ihr hier

Wer? Betroffene mit Brustkrebs, ab Diagnose zeitlich unbegrenzt oder auch schon davor für Gen-Träger*innen

Was? Es werden immer 4-5 feste Themen besprochen und alles, was euch sonst beschäftigt

Wie? Einfach anmelden

Wo soll es mit den Tittie-Talks hingehen?

Das Angebot soll auf jeden Fall weiter bestehen bleiben. Wir wollen gerade den Leuten, denen es aktuell nicht möglich ist, sich “in Echt” zu treffen, die Chance bieten, sich trotzdem auszutauschen und andere Betroffene persönlich kennenzulernen. Wir freuen uns auch immer total, wenn wir mitbekommen, dass es face-to-face Community-Treffen gibt. In unserer WhatsApp Community, die wir seit einigen Monaten anbieten, haben wir zum Beispiel verschiedene Postleitzahlgebiete und eine Gruppe, in der alle drin sind. In den einzelnen Postleitzahlengebieten ist es öfter schon zu Community-Treffen gekommen. Das ist eine schöne Sache. Trotzdem ist es uns wichtig, diese virtuelle Verbindung beizubehalten, um das Angebot so niederschwellig wie möglich zu halten.

Wie geht es weiter mit euren Aktionen?

Wir sind immer froh über neue kreative und ungewöhnliche Ideen, um anderen und auch uns selbst im Umgang mit dieser Erkrankung neue Perspektiven zu eröffnen. Aber unsere etablierten Projekte wollen wir trotzdem alle weiterführen. Zum Beispiel möchten wir unsere Ausstellung gerne deutschlandweit verbreiten, so dass sie eine Art Wanderausstellung wird, die an verschiedenen Orten gezeigt werden kann. Das ist gerade in der Mache. Genauso wie unsere Tittie-Tints. Die möchten wir auch gerne überall anbieten, sodass Menschen aus unterschiedlichen Regionen die Möglichkeit haben, daran teilzunehmen.

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Zuletzt geändert am: 25.07.2024
Autor: Redaktion StärkergegenKrebs

Dr.sc.med. Violet Handtke

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