Das TANDEM-Projekt: Zusammen ist man weniger allein

Die Kinderhilfe e.V. stellt neu an Krebs Erkrankten eine*n ehemals erkrankte*n Patner*in an die Seite

Tut man etwas zum ersten Mal, hat man am liebsten eine Person mit Erfahrung an seiner Seite. So geht es mir zumindest oft. Eine beruhigende Präsenz spüren, während man selbst Schweißperlen auf der Stirn hat und vor Angst und Nervosität vielleicht sogar zittert. Das tröstliche Wissen, dass da jemand ist, den man um Rat fragen kann, wenn man nicht weiterweiß.

Bei manchen Dingen wird die Präsenz einer solchen Person, in Gestalt von Coach*innen, Mentor*innen oder Lehrer*innen als gegeben hingenommen, zum Beispiel bei Ausbildung und Beruf, beim Autofahren oder sogar beim Schreiben mit dem Füller, ich sag nur „Füllerführerschein“. Bei anderen Dingen scheint es aus undefinierbaren Gründen so zu sein, dass davon ausgegangen wird, dass Leute sie allein wuppen können, obwohl sie nicht minder schwer sind. Meine Favoriten hierbei sind Steuererklärungen oder eigentlich sämtliche Kommunikation mit Behörden, Kindererziehung oder das Wiederzusammenfalten von Beipackzetteln aus Medikamentenschachteln. Leider ist es aber ausgerechnet bei Krisen im Leben so, dass man sich oft allein gelassen fühlt, weil meist niemand da ist, der dasselbe durchgemacht hat und einem zur Seite steht. Eine Person, die quasi der lebende Beweis dafür ist, dass es auch ein „Danach“ gibt und wie das aussehen kann. Die Diagnose „Krebs“ ist eine solche Krise, weil sie das Leben erst einmal aus den Angeln hebt, und oft fühlen sich Betroffene zunächst verloren und vor allem eines: allein. Wie nützlich könnte hier eine Begleitung durch eine Person sein, die das Ganze schon hinter sich hat?

Diese Frage hat sich auch die Kinderhilfe e.V. in Brandenburg gestellt und mit ihrem neuen „TANDEM Projekt“ beantwortet. Dabei begleiten ehemals an Krebs Erkrankte ehrenamtlich neu Erkrankte durch ihre Krankheit. Das Projekt wird aus Lottomitteln des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg gefördert. Wir haben mit Cornelia Jost, der Leiterin des Projektes, darüber gesprochen.

Cornelia, wie ist die Idee zum Tandemprojekt entstanden?

Ich bin ursprünglich eine Ehrenamtliche beim Kinderhilfe e.V.. Ich habe mich vor 10 Jahren zur Familienbegleiterin ausbilden lassen und bin seitdem in Familien im Einsatz. Dann bin ich vor 8 Jahren selbst an Brustkrebs erkrankt. Zu dem Zeitpunkt waren meine Kinder noch klein und ich habe meine eigene Therapie durchgestanden und verarbeitet und dadurch Erfahrungen gesammelt, wie das Leben als krebserkrankte Mutter ist. Mir sind Dinge, die ich in meiner Familienbegleiter-Ausbildung gelernt habe, dabei sehr zugutegekommen, zum Beispiel was so eine Erkrankung mit dem System Familie macht. Aber ich habe natürlich auch nochmal ganz andere Erfahrungen gemacht, weil ich persönlich betroffen war.

Wie hat dir das bei der Entwicklung des Projekts geholfen?

Als ich die Therapie abgeschlossen hatte und wieder auf den Beinen stand, habe ich mich bei der Kinderhilfe zurückgemeldet und gesagt: „So, jetzt kann ich wieder helfen gehen“. Einige Zeit später bin ich von der Koordinatorin angefragt worden, ob ich als Begleiterin in eine Familie gehen könnte, in der die Mutter von vier kleinen Kindern gerade an Brustkrebs erkrankt ist, also eine ganz frische Diagnose hatte. Das war der Auftakt für das, worum es uns in diesem Projekt geht:  Erkrankten Eltern jemanden an die Seite zu stellen, der selbst erkrankt war und der über die persönliche Betroffenheit nochmal einen ganz anderen Zugang zu ihnen bekommt. Ich habe das in dieser Familie und seitdem in vielen anderen gemacht. Ich springe Menschen, die ganz neu mit so einer Diagnose konfrontiert sind, zur Seite.

Kinder mit Dosentelefon

Ich erläutere das medizinische Kauderwelsch, mit dem man konfrontiert wird.

Wie kannst du da helfen?

Ich versuche die erste Schocksituation aufzulösen und gemeinsam mit den Betroffenen diese fehlende Orientierung, die man am Anfang hat, wiederzuerlangen. Ich beantworte Fragen, die kurz nach der Diagnose extrem drängend sind und erläutere das medizinische Kauderwelsch, mit dem man konfrontiert wird und das schwer zu verstehen ist, wenn man keinen medizinischen Hintergrund hat. Und ich helfe dabei sich im Therapiedschungel zurechtzufinden. Dabei berichte ich von meinen eigenen Erfahrungen mit der Therapie, ihren Nebenwirkungen und dem Umgang mit der Krankheit.

Was gehört für dich noch dazu?

Ich zeige auch die Unterstützungsmöglichkeiten auf, die es rund um die Erkrankung gibt. Von denen man meist wenig weiß, wenn man selbst betroffen ist. Meiner Erfahrung nach reicht außerdem häufig die Kraft nicht, sich neben der Angst, die so eine Diagnose auslöst, und der körperlichen Beanspruchung durch die Therapie, auch noch mit solchen Dingen auseinanderzusetzen. In der Vergangenheit konnte ich immer gut helfen, indem ich von der Haushaltshilfe, über die Taxischeine bis hin zu finanziellen Unterstützungen beraten konnte. Ich habe auch Anträge gestellt, Telefonate mit Ärzt*innen oder anderen Stellen geführt, die ein bisschen Nachdruck brauchten und die für die frisch Erkrankten meist so nicht möglich waren, in den ersten Wochen und Monaten.  

Fahrer auf Tandem

Es geht um die Idee, dass zwei Menschen versuchen miteinander in dieselbe Richtung zu gehen. 

Wie ist dann daraus ein Projekt geworden?

Uns erreichen zunehmend Anfragen, ob wir jemanden haben, der in eine Familie gehen und zum Beispiel einer frisch diagnostizierten Frau sagen kann, was jetzt eigentlich auf sie zukommt: Womit sie rechnen muss, wie sie mit der Schule, den Lehrer*innen umgehen kann oder mit dem Kindergarten, wie sie mit ihren Kindern über alles Wichtige sprechen kann, wie sie auch ihre Kinder mit einbeziehen kann in diese Erkrankung. Eine Person, die vielleicht mutig genug ist zur ersten Chemotherapie zu begleiten, vor der Erkrankte häufig große Angst haben, oder bei einem Ärzt*innengespräch als zweites Paar Ohren dabei zu sein, um hinterher nochmal gemeinsam besprechen zu können: Welche Behandlungsvorschläge gab es? Was hat er/sie damit gemeint? Aus all diesen Formen der Unterstützungsleistung, haben wir gemeinsam die Idee entwickelt, daraus ein Projekt zu machen. Dieses Projekt haben wir TANDEM-Projekt genannt.

Wieso der Name TANDEM-Projekt?

Wir haben das aus dem Sprachgebrauch entlehnt, den wir kannten, zum Beispiel gibt es ja Sprachtandems. Es geht um die Idee, dass zwei Menschen versuchen miteinander in dieselbe Richtung zu gehen. Einer kann am Anfang ein bisschen kräftigerer treten, weil er die möglichen Wege bereits kennt, dadurch kann er führen, bis die frisch erkrankte Person herausfindet, was genau ihr Weg ist und sich dann vom anderen dabei begleiten und unterstützen lässt.

Wie weit seid ihr mit dem Projekt?

Wir sind jetzt dabei den ersten Vorbereitungskurs mit Teilnehmenden zu füllen. Dafür sind wir im Gespräch mit verschiedenen ehemals Erkrankten, die sich bereiterklärt haben mitzuarbeiten. Wir vernetzen uns stark mit anderen Akteuren im regionalen Umfeld und machen das Projekt bekannt. Weil das bei der Kinderhilfe e.V. Haltung und Überzeugung ist, möchten wir die Ehrenamtlichen zunächst gut auf diesen Einsatz vorbereiten. Wir bereiten sie auf Situationen vor, die ihnen in der Arbeit mit den Familien begegnen können, berücksichtigen ihre eigene Betroffenheit und erarbeiten mit ihnen Wege, in die Hilfeleistung zu gehen und dabei auch gut für sich selbst zu sorgen. Wir haben Referent*innen gewinnen können und werden ab Juli 2024 an sechs ganztägigen Kursterminen verschiedene Themenkomplexe miteinander bearbeiten, immer möglichst praxisnah. Noch gibt es freie Plätze im ersten Kurs.

Kurz und kompakt:

Was: Das TANDEM-Projekt, in dem ehemals an Krebs Erkrankte neu Erkrankte durch ihre Krankheit begleiten

Wer: der Kinderhilfe e.V. hat das Projekt ins Leben gerufen

Wo: in Brandenburg

Für wen: Familien in denen kürzlich ein Elternteil oder ein*e Jugendliche*r ab 16 Jahren an Krebs erkrankt ist

Kosten: keine, die TANDEM-Partner*innen arbeiten ehrenamtlich und das Projekt wird derzeit vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg gefördert

Selbst aktiv werden: wer selbst als TANDEM-Partner*in aktiv werden möchte, kann Cornelia Jost oder Katrin Lübbe unter tandem@kinderhilfe-ev.de oder unter Tel: 0331 8132 7603 kontaktieren.

Wieso ist es dir so wichtig andere Betroffene zu unterstützen?

Ich kenne das Gefühl mich sehr verlassen zu fühlen aus einer anderen schwerwiegenden Krise, weil die Menschen, die mich umgeben haben auf ganz anderen Umlaufbahnen unterwegs waren. Damals habe ich erfahren, wie hilfreich es ist, wenn man sich plötzlich nicht mehr allein fühlt. Nicht, dass die Situation eine andere ist, aber sie fühlt sich anders an. Das macht für mich einen riesengroßen Unterschied und daher war die Idee zu sagen: „Ich gehe in eine Familie in einer Ausnahmesituation, vor der andere Menschen Angst haben, wirkliche Berührungsängste, und die überwinde ich. Und schon allein durch die Tatsache, dass ich da bin und nicht weiche, auch wenn es schwierig wird, helfe ich in dieser Situation ganz entscheidend.“

Also hilft allein deine Präsenz schon?

Ich habe während meiner eigenen Erkrankung gelernt, dass es bei unserer ehrenamtlichen Hilfeleistung mitunter gar nicht so sehr darauf ankommt, dass man praktische Hilfe leistet. Die größte Hilfe besteht oft darin, dass man da ist, dass man sich dieser Situation stellt, sie aushält, dableibt und sich nicht davor versteckt. Es ist wichtig, dass man Menschen nicht mit Macht versucht abzulenken oder zu vertrösten, sondern dass man immer ganz nah an der erkrankten Person bleibt. Sie gibt vor, wo es langgeht und was jetzt gerade dran ist. Man sollte als Helfer*in nicht in Versuchung kommen, die Führung übernehmen zu wollen. Bei Menschen in einer Krisensituation, bei denen sich alles in Aufruhr und Auflösung befindet, kann man als Begleiter*in das ruhige, sicherstehende Selbst anbieten. Das habe ich vor meiner eigenen Erkrankung unterschätzt. Wenn ich mich jetzt an Menschen erinnere, die mir besonders geholfen haben, dann waren das die, die einfach dageblieben sind und eine gewisse Ruhe und Stabilität vermittelt haben. Dadurch haben sie mein ins Wanken geratenes Leben wieder ein bisschen beruhigt.

Gruppe hält sich an Schultern

 Es tut gut zu erfahren, dass auch die ungewöhnlichsten Empfindungen ganz normal sind und von anderen geteilt werden. 

Welche Hilfe hattest du bei deiner eigenen Erkrankung?  

Ich hatte damals durch meine Ausbildung als ehrenamtliche Mitarbeiterin fachlich sehr versierte Menschen an meiner Seite. Auch gab es in meinem privaten Umfeld insgesamt viele nicht erkrankte Menschen, deren Freundschaft und Unterstützung wichtig waren. Ich habe mir aber trotzdem gleich nach der Diagnose Menschen gesucht, die selbst erkrankt waren, und zwar nicht an irgendwas, sondern wirklich an meinem Krebs. Ich habe sie in virtuellen Foren gefunden und habe mit Einzelnen persönlichen Kontakt aufgenommen, telefoniert und einige auch getroffen. Mir hat es tatsächlich damals sehr geholfen, Menschen zu haben, die schon weiter in dieser Erkrankung waren, die Therapien, die mir noch bevorstanden, schon abgeschlossen hatten und mir ein bisschen davon berichten konnten, wie sich das anfühlt, worauf ich achten kann, was auf mich zukommt, in welchen Abfolgen was stattfinden könnte oder jemanden zu haben, den ich einfach fragen konnte: „Ging dir das damals eigentlich auch so? Was hast du dagegen gemacht?“ Es tut gut zu erfahren, dass auch die ungewöhnlichsten Empfindungen ganz normal sind und von anderen geteilt werden. Dadurch hatte ich ein gutes Umfeld, weil es so gemischt war, aus selbst Betroffenen, aber auch aus Menschen, die nicht betroffen waren, aber sich getraut haben an meiner Seite zu bleiben.

Was war der Vorteil an so einem „gemischten Umfeld“?

Ich habe in diesen Tagen erlebt, wie unterstützend andere Menschen sein können, weil ich mich plötzlich wieder an etwas orientieren konnte. So eine Diagnose, das ging damals mir zumindest so, setzt alles, was bisher war, erstmal zurück. Es ist von einem Moment auf den anderen alles anders und die alten Regeln und Sicherheiten gelten einfach nicht mehr: Das Vertrauen in den eigenen Körper, die Zuversicht, die Selbstgewissheit, dass schon alles gut werden wird, sind in höchstem Maße erschüttert bei so einer Erkrankung. Ich habe tatsächlich eine ganze Weile gebraucht, bis ich wieder an den Punkt kam, sagen zu können: „Okay, ich gehe jetzt diesen Weg und ich komme auch hinten irgendwo an.“

Wieso waren selbst Betroffene dabei so wichtig?

Eine Orientierung haben mir tatsächlich Menschen geben können, die diesen Weg einfach schon gegangen waren, also die entweder ganz am Ende der Therapie, seit vielen Jahren schon wieder gesund oder Menschen, die schon ein Jahr weiter waren und mir sagten: „Ja, vor einem Jahr, ging es mir ganz genauso wie dir“ oder die Dinge zu mir gesagt haben, wie: „Wenn die Therapie erst einmal beginnt, wirst du merken, es lichtet sich wieder in deinem Kopf“. Solche Aussagen wurden zu Zielmarken für mich.

Wie meinst du das?

Die schlimmste Phase ist die Diagnostik, wo du in der Luft hängst, weil noch nichts gegen den Krebs unternommen wird und viele Ungewissheiten im Raum stehen. Es ist zu diesem Zeitpunkt völlig offen, ob der Krebs lokal begrenzt ist, bereits gestreut hat und was für eine Behandlung möglich ist. Genauso unklar ist die eigene Prognose und deshalb erwartet man ohnmächtig die Ergebnisse der weitergehenden Untersuchungen. Man ist mit vielen Ängsten konfrontiert und auch ich habe gezittert, hatte aber die Hoffnung, dass es dann, wenn die Therapie anfängt, wirklich besser wird. Ich hoffte, dass ich dann wieder halbwegs klar denken, schlafen und essen könnte. Das hatten die vor mir Erkrankten ja versprochen und es war tatsächlich so. Nicht nur bei mir, sondern ich habe das inzwischen bei vielen anderen Erkrankten miterleben können. Ich habe gemerkt, dass diese Unterstützung gut für mich war und ich wollte auch etwas zurückgeben.

Mädchen flüstern

Die Furchtlosigkeit, die selbst Betroffene in Gesprächen miteinander haben, finde ich immer wieder sehr beeindruckend. Betroffene finden eine gemeinsame Sprache, in der gibt es praktisch keine Tabus. 

Was hast du für Erfahrungen damit in deinem Umfeld gemacht?

Bei allen Menschen, die ich bis jetzt in ihren Erkrankungen begleitet habe, habe ich immer wieder erlebt, dass diese massive Orientierungslosigkeit, die am Anfang empfunden wird, schneller endet, wenn Menschen in dieser Situation unterstützt werden. Sie kommen recht bald wieder in eine Handlungsfähigkeit, so dass sie selbst wieder in der Lage sind, eigene Entscheidungen zu treffen und zu überblicken: In welcher Situation befinden sie sich eigentlich gerade? Was bedeutet das alles? Wo führt es hin? Was müssen sie beachten? Was können sie tun, um ihr körperliches und emotionales Wohlbefinden während der Therapie und der Erkrankung zu verbessern und zu stärken?

In welchen Phasen der Krankheit ist ein*e Tandempartner*in besonders wichtig?

Die Diagnostikphase ist sehr schwierig. Es wird alles Mögliche gescannt und untersucht und man wartet permanent auf irgendwelche Befunde. Man hängt in der Luft und versteht noch nicht: Was habe ich? Was bedeutet das eigentlich? Die Ärzte erzählen einem alles Mögliche, von dem man nur wenig wahrnimmt oder überhaupt versteht. In der Therapiephase wird dem Ganzen plötzlich wieder ein Rahmen gegeben: Man hat feste Termine, man weiß, wann man wo erscheinen muss und wird regelmäßig von einem Arzt kontrolliert. Trotzdem glaube ich, dass auch in dieser Phase Unterstützung sehr gut geleistet werden kann, denn so eine Therapie bringt einen ja in unbekannte Erfahrungsbereiche. Man weiß nicht, was körperlich und emotional auf einen zukommt und wie gut man das bewältigen kann. Ich empfinde auch die Phase nach Abschluss der Therapie als eine sehr empfindsame und eine sehr unterstützungsbedürftige, weil nach dem Ende der Therapie häufig ein emotionales Loch folgt. Während der Therapie ist man in diesem Überlebensmodus, da versucht man diese Therapie körperlich zu überstehen. Erst danach ist man in der Lage zu reflektieren: „Was ist mir da eigentlich gerade passiert? Was bedeutet das für mich und für mein Leben? Was bedeutet diese Angst, die mir im Nacken sitzt und wie reduziere ich sie auf eine Größe, mit der ich wieder gut leben kann? Wie kann ich wieder nach vorne orientiert leben?“ Dabei braucht es meiner Erfahrung nach nochmal viel Unterstützung. Es sind viele unterschiedliche Phasen, die mit unterschiedlichen Arten von Hilfemöglichkeiten und Bedürftigkeit einhergehen.

Was unterscheidet TANDEM-Partner*innen von anderen Ehrenamtlichen?

Die Furchtlosigkeit, die selbst Betroffene in Gesprächen miteinander haben, finde ich immer wieder sehr beeindruckend. Betroffene finden eine gemeinsame Sprache, in der gibt es praktisch keine Tabus. Nicht Betroffene, selbst wenn sie viele Jahre in diesem Bereich tätig sind, trauen sich an manche Fragestellungen nicht heran. Und vielleicht kämen diese Fragestellungen bei einem frisch Erkrankten auch anders an, wenn das jemand fragt, der die Erkrankung nicht selbst erlebt hat. Und auch frisch Erkrankte teilen so manchen dunklen Gedanken eher nicht mit dem eigenen Partner oder Menschen aus dem privaten Umfeld, um diese zu schonen. Hinzu kommt, dass gerade junge Menschen in ihrem Freundeskreis selten andere junge Erkrankte haben, mit denen sie sich über ihre besondere Situation austauschen können. Ihre Altersgenossen brechen gerade in ihre jungen Leben auf, und die erkrankten Jugendlichen sind in ihrer Situation einsam. Deshalb sind junge Paten für uns eine sehr große Hoffnung, weil wir gerade jugendlichen Erkrankten eine Möglichkeit des Austausches schaffen möchten, die sie sonst nicht haben. Wir sind deshalb bemüht viele TANDEM-Partner*innen aus unterschiedlichen Lebensphasen und Lebenssituationen für das Projekt zu gewinnen.

Zum Abschluss wüsste ich noch gerne: Was wünscht du dir für deine Arbeit im TANDEM-Projekt und die Kinderhilfe e.V.?

Ich würde mir wünschen, dass unsere bestehenden Angebote bekannter werden und insbesondere medizinisches Personal auch immer mitdenkt, dass es neben der medizinischen Betreuung auch eine emotionale Begleitung braucht und Betroffene auch aktiv auf diese Möglichkeit aufmerksam macht. Ich würde wollen, dass es auch in Zeiten knapper Kassen ein Bewusstsein in der Gesellschaft dafür gibt, dass wir Menschen in einer Situation schwerer Erkrankung oder in der Situation des Verlustes durch Tod eines nahen Menschen, nicht allein lassen dürfen. Wir können durch frühzeitige und niederschwellige Angebote, Traumata oder langanhaltende Verunsicherungen gerade bei Kindern, die bei uns in der Kinderhilfe immer im Fokus sind, vermeiden und dafür sorgen, dass sie gestärkt ihren Weg weitergehen. Mein Wunsch ist, dass diese Aufgabe wahrgenommen, wertgeschätzt und auch in erforderlichem Maße finanziell unterstützt wird, so dass wir solche Angebote dauerhaft aufrechterhalten können.

Was macht die Kinderhilfe e.V.?

Die Kinderhilfe e.V. ist in Berlin und Brandenburg aktiv mit vier Standorten und versucht auch ländliche Gebiete gut abzudecken. Es sind ca. 30 hauptamtliche Mitarbeiter*innen und allein in Brandenburg rund 100 Ehrenamtliche, die selbst ausgebildet wurden, im Einsatz. Der Verein wurde 1983 von Jürgen Schulz gegründet, dessen Sohn Björn Schulz an Leukämie erkrankt war. Die Kinderhilfe e.V. leistet ambulante Kinder- und Familienhospizversorgung. Sie begleitet Familien, in denen ein Familienmitglied, sei es ein Kind oder ein Elternteil, erkrankt ist. Die Kinderhilfe ist in Brandenburg auch sehr aktiv in der Trauerhilfe, denn die Trauerphase beginnt nicht erst dem mit dem Sterbeprozess und endet nicht mit dem Tod der Erkrankten, sondern hat ihre eigene Zeit. Die Ehrenamtlichen der Kinderhilfe e.V. begleiten die Familien, solange sie es brauchen. Vor allem auch Geschwisterkinder stehen im Fokus ihrer Arbeit, da diese mit ihren Bedürfnissen in Familien mit einem schwer erkrankten Kind häufig aus dem Blick der sehr stark geforderten Eltern geraten. Einen kleinen Teil ihrer Arbeit in der ambulanten Hospizarbeit kann die Kinderhilfe e.V. über die Krankenkassen finanzieren, für alles andere ist sie auf Förderungen und Spenden angewiesen.

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Zuletzt geändert am: 22.07.2024
Autor: Redaktion StärkergegenKrebs

Dr.sc.med. Violet Handtke

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