Was macht eigentlich eine Apotheke mit dem Schwerpunkt Onkologie?

Meist nur wenige Minuten entfernt, finden onkologische Patient*innen eine zuverlässige Anlaufstelle, an die sie sich mit Fragen wenden können: ihre Apotheke. In Deutschland gibt es ca. 300 Apotheken mit dem Schwerpunkt Onkologie. Viele wissen aber gar nicht, dass Apotheken mehr tun, als nur Medikamente auszugeben. Wir haben mit dem Apotheker Robert Herold von der Central Apotheke Falkenstein im Vogtland gesprochen und er hat uns erklärt, was eine onkologische Schwerpunktapotheke alles kann und warum Apotheker*innen mehr als nur die „Schubladenschieber*innen der Nation“ sind.

Herr Herold, was macht eine onkologische Schwerpunktapotheke genau?

Eine onkologische Schwerpunktapotheke stellt Patient*innen, die eine onkologische Erkrankung haben, die notwendigen Informationen zur Verfügung, welche Arzneimittel zum Einsatz kommen und warum. Sie berät über alle Möglichkeiten in Bezug auf die onkologische Therapie, nicht nur Arzneimittel, sondern auch Nebenwirkungsmanagement oder Best-Supportive-Care (unterstützende Therapien bei Krebs°).

Mit welchen Fragen kommen Patient*innen zu Ihnen?

Die Anliegen sind genauso breit, wie die Angebote, die wir haben. Zum einen sind es Fragen zu den Arzneimitteln direkt: wie ist die Dosierung? Gibt es Besonderheiten bei der Einnahme? Welche Nebenwirkungen erwarten mich? Wann erwarten sie mich? Wie stark treffen sie mich? Kann ich vorbeugen?

Was aber immer mehr in den Vordergrund rückt, sind Fragen zu Unterstützungsangeboten, zum Beispiel bei Medikamenten, wo ein Haarausfall droht, beraten wir zu Haarersatz und sagen Patient*innen, wo sie sich hinwenden können. Oder andere Nachfragen zu Netzwerkarbeiten, das heißt, was hat der Kreis - wir sind im Vogtlandkreis eingebunden - für Angebote?

Wie können Sie Patient*innen da weiterhelfen?

Wir sehen uns als „Lotse“ in Zusammenarbeit mit den Ärzt*innen, um die beste Lösung für die Patient*innen zu finden. Wir wollen nicht nur überwachen, wie eine Therapie abläuft. Ich bin auf der Suche nach Pflegediensten behilflich oder einem SAPV-Team (spezialisierte ambulante Palliativversorgung°). Wir beantworten sogar Fragen zu Möglichkeiten des altersgerechten Umbaus. Wir wollen breitgefächert und ganz unvoreingenommen die Hilfsangebote, die es gibt, aufzeigen. Außerdem bieten wir, im Rahmen von Beratungsgesprächen, die Möglichkeit Informationen, die Patient*innen online oder in sozialen Netzwerken gefunden haben zu filtern und zu strukturieren.

Was kann eine onkologische Schwerpunktapotheke, was eine „normale“ Apotheke nicht kann?

Wir stellen seit 1996 sterile Infusionslösungen für die Chemotherapie von Patient*innen her, wofür es eine spezielle Ausstattung und geschultes Personal braucht. Das heißt auch, dass wir seitdem mit Fragen dazu konfrontiert sind, was uns die Gelegenheit gibt, uns damit intensiver auseinander zu setzen und so tiefer in das Thema Krebs einzusteigen.

Dann gibt es im onkologischen Bereich Weiterbildungsmöglichkeiten. Für Apotheker*innen gibt es die Weiterbildung zur onkologischen Pharmazie. Das ist eine Zusatzausbildung, die mehrere Jahre dauert und mit einer Prüfung abgeschlossen wird. Dabei wird man in alle Themengebiete in Bezug auf die onkologische Therapie eingeführt, so dass man am Ende auch ordentlich beraten kann.

Was gehört zu so einer Beratung?

Einmal muss eine pharmazeutische Kontrolle der Medikamente untereinander erfolgen, das heißt es sollte der Medikationsplan angeguckt werden. Dabei wird geschaut, welche Medikamente sich miteinander vertragen und welche Rolle dann auch das Tumortherapeutikum spielt, was ja in vielen Fällen auch schon oral (als Tabletten oder Kapseln zum Schlucken°) zur Verfügung steht.

Das ist auch eine neuere Entwicklung: 2005, als ich angefangen habe, gab es vielleicht 2-3 Präparate. Jetzt sind es deutlich mehr. Patient*innen ist oft nicht bewusst, dass diese oralen Chemotherapien genauso viele Nebenwirkungen haben, wie andere, z.B. intravenöse Chemotherapien. Hier müssen wir beraten.

Wir können Therapiepläne und Einnahmepläne für Patient*innen erstellen, die sie mitnehmen können. Darauf können sie täglich im Smiley-Format vermerken, wie es ihnen mit der Therapie geht. Wir schreiben diese Therapiepläne fort, so dass wir sehen: wie geht es Patient*innen nach 2-3 Tagen, nach einer Woche und nach 2 Jahren? So haben wir einen Verlauf und das ist für uns und für Patient*innen sehr wichtig, um auf Neben- oder Wechselwirkungen eingehen zu können.

Die Menschen mit der Krankheit, sind letztlich die, die mit allen Entscheidungen zurechtkommen müssen.

Was ist Ihnen in der Betreuung von Patient*innen mit onkologischen Erkrankungen besonders wichtig?

Wichtig ist mir - und das setze ich immer voraus - die Fähigkeit von Patient*innen zu entscheiden, was gut für sie ist. Nicht, was für den Pflegedienst gut ist oder für die Angehörigen, sondern wirklich Patient*innen einen Blumenstrauß mit Möglichkeiten zu eröffnen, wo sie für sich die richtige auswählen können.

Wie unterstützen Sie Patient*innen bei der Entscheidungsfindung?

Erstmal lassen wir uns von Patient*innen erklären, was sie bisher schon erlebt haben und wie sie ihre jetzige Situation einschätzen. Das kriegt man meistens in einem Gespräch gut raus.

Wenn man allerdings Angehörige hat, die einem zum Vieraugengespräch bitten und einen schon in eine gewisse Richtung lenken wollen, dann ist das oft ein Hinweis darauf, dass Patient*innen in ihrer Entscheidung nicht ganz frei sind. In diesen Fällen übernehmen die Angehörigen einfach das Zepter, ohne dass dies die Patient*innen möchten. Da müssen wir hellhörig sein. Das ist eine sehr große Verantwortung für uns, denn die Menschen mit der Krankheit, sind letztlich die, die mit allen Entscheidungen zurechtkommen müssen.

Was ist eine Herausforderung in der Betreuung von onkologischen Patient*innen?

Einerseits haben wir in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte in der Krebstherapie gemacht. Es gibt viele neue Therapierichtungen. Andererseits kämpfen wir teilweise mit Heilversprechen, die gemacht werden, aber auf Kosten der Lebensqualität gehen. Das verunsichert Patient*innen, ob sie die Therapie machen sollen oder nicht. Mit solchen Fragestellungen kommen sie dann zu uns.

Wie gehen Sie damit um?

Wir verweisen natürlich erst einmal auf die ärztliche Meinung, weil Ärzt*innen diejenigen sind, die die Therapie gemeinsam mit Patient*innen festlegen. Dann versuchen wir Patient*innen in ihrer Meinung zu bestärken oder versuchen herauszufinden, was sie eigentlich möchten.

Natürlich kann unser Ziel nicht sein eine Therapie zu empfehlen oder davon abzuraten, sondern geht es darum, dass Patient*innen eine „Nachdenkauszeit“ bekommen. So können sie das Gesagte und das Erlebte noch einmal ein bisschen sacken lassen und sich vielleicht wirklich hinterfragen, was sie eigentlich wollen und hinter welcher Therapie sie wirklich stehen können. Auch die Möglichkeit das nochmal mit den Angehörigen zu besprechen ist wichtig. Es ist quasi eine „Verschnaufpause“ nach der ärztlichen Einschätzung und da helfen wir mit Informationen und Beratung.

Icon Tipps

In unserer täglichen Arbeit ziehen wir sehr gerne die medizinischen Leitlinien zur Rate, die in Deutschland öffentlich zugänglich sind und jede*r lesen kann, auch Patient*innen.

Was würden Sie onkologischen Patient*innen gerne für einen Tipp geben?

In unserer täglichen Arbeit ziehen wir sehr gerne die medizinischen Leitlinien zur Rate, die in Deutschland öffentlich zugänglich sind und jede*r lesen kann, auch Patient*innen. Das wissen allerdings nur sehr wenige. Sie sind aber eine große Hilfe.

Wo sollten onkologische Patient*innen vorsichtig sein?

Ein großes Problem sind Nahrungsergänzungsmittel. Patient*innen denken: „Das nehme ich jetzt einfach mal“. Immer neue Wundermittel werden angepriesen, die es in der Tat vielleicht gar nicht sind. Außerdem kosten sie sehr viel Geld. Trotzdem ist eine große Bereitwilligkeit da, Nahrungsergänzungsmittel zu kaufen. Das kann ich nicht unterschreiben und wir empfehlen das Patient*innen auch meistens nicht.

Noch problematischer ist, wenn Angehörige Nahrungsergänzungsmittel kaufen mit dem typischen Satz: „Mein*e Angehörige*r ist so schwer krank, ich möchte ihm/ihr gerne was Gutes tun“. Das klingt schon immer gut, aber letztendlich steckt da auch immer sehr viel Gefahrenpotential dahinter, wenn es zum Beispiel eine Immuntherapie ist und Angehörige kaufen Immunstimulanzien, dann kann das für die Therapie hinderlich sein und da müssen wir schon mit einem gewissen Gespür darauf antworten, dass nichts passiert und Patient*innen keinen Schaden nehmen.

Icon Role Model

Apotheker*innen werden oft nur als „Schubladenzieher*innen der Nation“ gesehen, die nur Medikamente aushändigen.

Wie sehen Sie die Rolle der Apotheken in der Betreuung onkologischer Patient*innen?

Apotheker*innen werden oft nur als „Schubladenzieher*innen der Nation“ gesehen, die nur Medikamente aushändigen. Wir haben uns aber dafür eingesetzt, dass auch pharmazeutische Beratungsleistungen anerkannt werden, was in Form der „pharmazeutische Dienstleistungen“ 2022 geschehen ist. Dazu gehört auch die Beratung von onkologischen Patienten zur oralen Krebstherapie, aber auch zur Polymedikation (wenn mehrere Medikamente gleichzeitig und dauerhaft eingenommen werden°).

Welche Vorteile haben Apotheken gegenüber anderen Anlaufstellen für Krebspatient*innen?

Apotheker*innen können sich mehr Zeit für Patient*innen nehmen und sind eine niederschwellige Anlaufstelle: zu uns kann man einfach während der Öffnungszeiten kommen, während man sich in Unikliniken anmelden und teilweise ein Vierteljahr warten muss.

Außerdem sind wir Teil eines Netzwerks: Pflegedienste, Hospizdienste, SAPV-Teams usw., auch Ethikkommissionen gehören dazu. Dort können Patient*innen einfach nachfragen und ihre Therapieentscheidungen hinterfragen und gegebenenfalls auch korrigieren.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Apotheken in der Betreuung onkologischer Patient*innen?

Ich bin davon überzeugt, dass die Beratungsleistungen, die wir anbieten, einfach einen viel größeren Stellenwert einnehmen müssen. Wir müssen uns in den kommenden Jahren sehr umstellen, also wir Apotheker*innen, von der Ausgabe des Arzneimittels, hin zur Arzneimittelfachkraft. Diese Stellung müssen wir uns erarbeiten, tagtäglich das Vertrauen der Patient*innen zu gewinnen, aber auch das der ärztlichen Berufsgruppe, dass die wirklich auch an uns verweisen und sagen: „Ich kann hier nicht alles leisten, was den Beratungsaufwand angeht, aber liebe Patient*innen, dort ist eine gute Beratung, eine hohe Fachkompetenz, ihr könnt euch auch an die Apotheke wenden“. Das wäre eigentlich das Ziel.

°Anmerkung der Redaktion

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Zuletzt geändert am: 24.06.2024
Autor: Redaktion StärkergegenKrebs

Dr.sc.med. Violet Handtke

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